Freitag, 7. November 2014

Die gestohlene Mauer

Die gestohlene Mauer



Die Mauer wurde mir gestohlen.

Schon damals fühlte ich mich wie hinter einem eisernen Vorhang.
Berlin war ja the place to be!

Ich aber, kleine französische Deutschlehrerin, hockte hochschwanger in der Auvergne, in Clermont-Ferrand, mit meiner vierjährigen Tochter und meinem Mann, der bei der Bahn arbeitete. Er war total links, Kommunist pur, wir durften noch nicht mal einen Fernseher besitzen: solche Sachen gehörten ja zur Konsumgesellschaft.

Manchmal floh ich zu den Nachbarn, um mal in Ruhe „Miami Vice“zu sehen...
Am Tag, wo alles anfing, weiß ich noch ganz genau, wie ich  krank im Bett lag, das Ohr an einem kleinen Radio, und wie ich vor Freude und Wut weinte.
Freude, weil ich an Iris dachte, meine Brieffreundin; jahrelang hatten wir uns geschrieben, ein bildhübsches Mädel. Sie lebte in Dresden, und schickte mir Weihnachten immer so süße Figuren aus dem Erzgebirge…Ich dagegen hatte ihr ihre ersten Jeans geschenkt, und Platten, Rolling Stones, Abba…

Wut, weil ich als Europakind doch so gerne dabei gewesen wäre…Eine deutsche Mutter aus dem Rheinland, ein französischer Vater aus Südfrankreich, schon immer pendelte ich zwischen schneeweißen Tannenwäldern und sonnigen Lavendelfeldern, zwischen Heine und Hugo, Renoir und Klimt…Gerade hatte ich den ersten Teil meiner Diss über „Heutige Jugendrevolte in der BRD“ geschrieben, und so gerne wäre ich in dieser Woche auch „das Volk“ gewesen…

Aber nein, gar die Bilder dufte ich nicht ansehen, nur von weitem konnte ich es ahnen, an diesem Tag, wo die Mauer fiel: das Jubeln und die Tränen, die unter diesem nicht mehr geteilten Himmel sich mischten und mich bis in meine Einsamkeit erreichten.
Als Rostropovitch dann mit dem Cello anfing, musste ich selbst so heftig weinen, dass meine zweite Tochter beinahe als Mauerkind zur Welt gekommen wäre…

Ja, schon damals spürte ich, dass ich gerade NICHT dabei war. So gerne hätte ich mitgejubelt, wäre ich geklettert, hätte Bananen geschenkt, so gerne hätte ich im weiten Feld der Weltgeschichte eine winzige Rolle gespielt.

Aber schon nach dem Abi war aus meinem Traum, in den USA zu studieren und Journalistin zu werden, nichts geworden; ich war noch minderjährig und hatte mich der Obrigkeit eines despotischen Vaters gefügt, um in Frankreich in einer „Grande Ecole“ zu studieren, und dann der Tyrannei meines ersten Mannes, der selbst nicht studiert hatte, und verlangte, dass ich so schnell wie möglich einen Job fand.

So lange, so lange ist es her…

Meine Töchtern sind längst über ihre eigene Mauer gesprungen, wurden nach unserer Scheidung selbst zur Luftbrücke, mitten im kalten Krieg ihrer Eltern; unsere älteste Tochter arbeitete sogar einen Sommer im Tacheles und sagt es mit glänzenden Augen: „Ich bin eine Berlinerin!!!“

Ich aber sitze heute, am siebten November 2014, als bleiche Mutter und Deutschlehrerin noch besudelt unter den Schulden meines zweiten ex-Manns, habe sowieso keinen baren Heller, um nach Berlin zu fahren, und schaffe es noch nicht mal, mich über dieses Jubiläum zu freuen…

Und sowieso: wozu?

Meine Mauer hat man mir gestohlen.

Meine spontane Freude am Unterrichten ist weg-ich bin natürlich Deutschlehrerin geworden-, da ich seit Jahren keine Schüler mehr habe, statt dessen jedes Jahr die Schule wechseln muss, als wäre ich eine junge Vertreterin…Wie meine Kollegen muss ich sogar oft zwischen mehreren Schulen pendeln, habe selten die Gelegenheit, Reisen zu organisieren, verbringe mehr Zeit im Zug als im Lehrerzimmer: mein Dasein als Deutschlehrerin ist zum Machtkampf geworden.

Dabei bin ich ja fast eine ältere Dame, die wehmütig um ihre „Deutschtalgie“kämpft…Zwanzig Jahre ohne feste Stelle, auch, wenn ich inzwischen meine Doktorarbeit fast zu Ende geschrieben hätte, auch, wenn ich gar ein großes Kommunikationsprojekt um die deutsche Sprache bis ins Ministerium getragen habe.

Alles für die Katz.

Über jüdische Dichtung der Shoah habe ich geschrieben, bin aber selbst zur Niemandsrose geworden. Wir französischen Deutschlehrer existieren nicht mehr.
Trotz ehemaliger Tokio Hotel-Stimmung wählen die französischen Schüler nämlich eher spanisch, russisch oder chinesisch als zweite Fremdsprache; Deutsch als Erstsprache gibt es nur noch selten, und sowieso wissen wir, dass es für uns keine Karriereperspektive mehr gibt.

Dabei lebe ich in Toulouse, mitten im europäischen Airbus-Raum, im open space der wirtschaftlichen Luftbrücken zwischen den beiden Europartnern…
Natürlich gibt es tolle Initiativen, sei es im nationalen oder im lokalen Bereich, vom „Deustchmobil“ bis zu den Europrojekten, die die Mobilität unserer Schüler und Studenten fördern…

Aber irgendwie fehlt mir einfach die Energie; ich hätte meinen Glauben fast verloren. Nicht nur, weil mein zweiter Mann, ein deutscher Pastor und Gauner, mir einen Bergen Schulden hinterlassen hatte und aus meinem Leben einen Alptraum gemacht hat; nein, irgendwie fühle ich mich an diesem Jubiläum so distanziert, wie es damals die kleine schwangere Deutschlehrerin war. Wieder einmal bin ich nicht wirklich dabei.
Eigentlich ist meine Mauer nicht gefallen.

Aber:

„Den Himmel wenigstens können sie uns nicht zerteilen.“ Ja, auch mein Himmel ist noch intakt, wie meine Liebe zu meiner deutschen Heimat, mein Vertrauen am europäischen Ziel, meine Leidenschaft für deutsche Kultur es geblieben sind.
Auch, wenn meine Zukunft als Deutschlehrerin eher düster aussieht, auch, wenn wir französischen Germanisten in dieser bleiernen Zeit quasi ersticken, werde ich es trotzdem immer wieder versuchen.

Ich bleibe die Mauerspringerin. Und fühle mich als Brücke zwischen Provence und Eiffel, Brandenburger Tor und Champs Elysées, Zikaden und Heide…Ich bin die französische Lili Marleen und die deutsche Marianne.

Wir Europäer, wir sind das Volk.

Sabine Aussenac.

 (Text 2009 geschrieben, eben aktualisiert...Ich habe ...immer noch keine feste Stelle!! Die Schulden des ex-Manns sind weg, aber...ER schuldet UNS noch über vier Jahre Unterhalt, d.h über...11 000 euros...) 

Immer wieder die Pechmarie


Schwalbenfreier Himmel
zittert
grelles Mittagslicht Rosenduft
im Garten der verwechselten Träume
flattern  verlorene Mangodüfte
es ist Zeit

wo bleibt der Tag
wie weint die Nacht
wer sagt mir Rat
wo alles kracht

Leere Stille der vergangenen
Lichter
im Hof spielen Schattenkinder
Blinde Kuh
immer wieder die Pechmarie
Efeutränen im Teufelskreis

wo bleibt der Tag
wie weint die Nacht
wer sagt mir Rat
wo alles kracht

Die Sonne grinst
es donnert leise im weiten
Land der dunkelblauen Mohnblume
die Welt steht Kopf
oh es wankt die Horizontlinie
im Karussell der Schäume

wo bleibt der Tag
wie weint die Nacht
wer sagt mir Rat
wo alles kracht

Im Tannenwind Zypressedüfte
lächelnde Wüstenrose
ein Meridian der
Wahlverwandtschaften
eine Regenbogenstimme singt
im weiten winkt die Freude.

Samstag, 6. September 2014

Komm, lass uns wandern



Komm, lass uns wandern


Auch die Luft ist schwarz,
wenn erstickte Rosen ihren
Duft im verlorenen Baum
der Kindheit suchen.
Sanfte Greise lispeln und
lachen hinter Wolkengardinen, die
brennen wie Sand.

Auch der Wald ist grün,
wenn im dürren Schatten tausend Lieder
weinen. Sanft das Säuseln der
Vergangenheit.
Immer warte ich auf
Kummer, die kommen müssen.

Auch das Feuer ist rot,
wenn karge Flammen im knisternden
Kamin die Wunden
löschen und trösten. Einst
rieselte die Liebe wie
ein Funke Leben.

Auch das Meer ist blau,
wenn am weiten Ufer der
Zukunft stolze
Zypressen winken. Der Weg
bummelt dahin, komm, lass uns
wandern. 

***
Viens, marchons ensemble


L’air aussi est d’ébène,
quand, suffocantes, des roses
cherchent leur parfum dans l’arbre
perdu de l’enfance.
De doux vieillards murmurent et
rient derrière la croisée où des nuées
de dentelles brûlent comme du
sable.

La forêt aussi est d’émeraude,
quand mille chants pleurent à l’ombre
hostile. Tendre est le babil
du passé.
Toujours, j’attendrai des
peines qui ne peuvent que venir.

Le feu aussi est de rubis,
quand des flammes émaciées éteignent
et consolent les plaies
au foyer crépitant. Autrefois
il coulait, l’amour, comme une étincelle
de vie.

La mer aussi est de turquoise,
quand au rivage lointain
 du temps de fiers cyprès
appellent. Le chemin se
promène  jusqu’à eux,
viens, marchons
ensemble.


Sonntag, 17. August 2014

Rote Kirschen blaues Licht



Rote Kirschen

blaues Licht

Sonnenblumen das bin ich

Grüne Augen

blinde Kuh

klares Denken das bist du

Lichter fliegen fliehen gehen

Dichter geben nehmen segnen

Flieder singen

Mond kommt auf

Sterne fallen

sind gut drauf

federleicht liebst du mich rot

Moos so duftet 

Angst ist tot

Sieh Holunder nah am Mohn

Kinder lachen Männer drohn

Halt mich fest nimm meine Hand

Schnee kann regnen durch den Sand

Wunder kommen das ist klar

Liebe blüht: alles ist wahr.


Sabine Aussenac

Dienstag, 8. Juli 2014

Im Schatten: Die Hortensie

                                            Im Schatten: die Hortensie




Wie duftet die Akazie,
als sei der Himmel neu!
Im Schatten: die Hortensie,
ein Blau so sanft und scheu…

Mein Garten nur ein Summen,
die Bienen wanken voll
im Honigland am Brunnen;
sie tanzen, als ob toll.

Der Schwalben schwarzer Schrei
ein Kreisen in dem Wind,
ich träume Loreley,
mein Rhein, der ist so blind…

Denn nur die tiefe Sehnsucht
erleuchtet meine Nacht.
Des Sommers weite Bucht:
Erinnerung und Pracht…







Sonntag, 29. Juni 2014

Die Goldmarie ist da

Die Goldmarie ist da




Drei Zeiten am Strande eines Menschen:
Aprikosensand der Kindheit,
Mitte des Lebens im Stahlwasser des Alltags,
goldenes Licht der ewigen Hoffnung.

Drei Welten am Ufer eines Herzens:
Samt der sandigen Unschuld,
Wellen der Unsicherheit im grauen Feld des Lernens,
Sonnenblume des Himmels, oh sieh die Pracht, wenn Himmel lacht…

Drei Wege im offenen Meer der Welten:
Erst das Warten, Horizontlinie der Langeweile;
dann das Tappen im dunklen Bauch des Universums,
und plötzlich kommt der Schatz:


Die Goldmarie ist da!

Die erste Nacht mit Dir


Die erste Nacht mit Dir




Die erste Nacht mit Dir- war schön.
Ein Segeln durch unbekannte Wellen,
Insel und Tabu, sich
an allen Ecken wehtun, dabei lächeln: der Weg
ist lang.

Die erste Nacht mit Dir- tat gut.
Plötzlich die ganze Welt spüren, ein Aufatmen
nach staubiger Zeit. Rost und Steine essen,
Mahlzeit der Trauer. Und nun hieß es:
Lavendeleis und Sonnenblumensaft.

Die erste Nacht mit Dir- war sanft.
Sich ansehen und antasten, Schmetterlinge
durch luftige Lieder, kummerlose Stunden.

Sie war verschwunden: die Angst.

Die Trümmerfrau


Die Trümmerfrau




Ich sitze da am Ruinenrand,
mein Leben tot, mein Haus im Brand.
Wie Blitz und Bomben hat’s mich erwischt,
alles ist fort: Liebe und Licht.

Die Steine stöhnen, wilder Sand,
mein Herz verwirrt im Pommerland.
Nun bleibt nur Nacht wie Dornenweg,
kein Prinz wird sehen, wie Kummer feg‘…

Und plötzlich aufstehen: Sonne lacht.
Ein Tuch so rot  wie Kirschenpracht,
das lange Haar verschwindet ganz,
es kommt die Zeit für neuen Tanz.

Und nun nur heben, legen, raus,
ich spiel mit Tod wie Katz und Maus,
bald ruft im Haus die leere Wonne:
Ich wart‘ auf mich, und schau: ich komme!

Die Trümmerfrau werd‘ ich genannt,
denn durch mein Haus weht weites Land.
Doch wer kann sehen, wie ich da sing‘,
der darf mir geben neuen Ring.

Bild: Deutschland Stunde null, Anneliese und Erich, die Eltern meiner deutschen Mutter...

Blüte Felder Korn und Klee

Blüte Felder Korn und Klee





Blüte Felder Korn und Klee
oft träume ich vor heißem Tee
wann kommt die Zeit
der roten Rose
wo sitzen Freiheit
und Matrose

Zitronenduft und Mandoline
Venedigsanft summt kleine Biene
ich sitze stumm am Lebensfenster
mal war ich eine Nachtigall
so viele Nächte voll Gespenster
nun bleibt nur noch ein Wiederhall

Als wäre Sonne nie erstanden
wimmelt die Luft von falschen Mandeln
mein Kummerland ist abgebrannt
im Winde klirren die Tränen
aber die Fliederfrau werd’ ich genannt
mein Frühling kommt wie ein Eden.


Bis der Sturm sich legt



Bis der Sturm sich legt


https://www.youtube.com/watch?v=YKw2Tv7xS7g



Bis der Sturm sich legt

ist ein langer Weg.

Bis die Wellen ruhen,

bis der Wind sanft schläft,

bis der Himmel bunt

mir die Farben gibt

für ein neues Leben,

wo man tanzt im Segen.



Bis der Sturm sich legt

gibt es dunkle Wälder.

Da sind hundert Wölfe,

die mich beißen wild,

da muss ich nur stolpern,

bin verwirrt und blind,

und dann kommt die Lichtung,

ein Geschenk so mild.



Bis der Sturm sich legt

lauern Angst und Durst,

in den engen Ecken ohne Luft;

die Kerker meiner Nächte. Und

am Morgen: das Ersticken. Aber sieh:

Flieder tanzt und Wellen blühen,

endlich ruht der Hampelmann.

Ich strahle wie am Weltanfang.